Rückeroberung der Gartenstadt
«Eines Tages, als ich an meinem Schreibtisch sass und zum
Fenster hinausschaute, sah ich, dass sich auf […] des gegen-
überliegenden Hauses ein Adler niedergelassen hatte.»
(Franz Hohler, Die Rückeroberung)
Im Zeitgeist der 80er-Jahre, geprägt von der Sorge um die zunehmende Umweltzerstörung, beginnt die Geschichte des Schriftstellers Franz Hohler. Sie beschreibt die Invasion von Zürich durch Wildtiere. 40 Jahre später erhalten Tiere und Pflanzen mehr Raum und Entwicklungsmöglichkeiten. Aktionen wie «Natur findet Stadt» in Aarau und der zunehmende Trend zu naturnahen Gärten sind Beispiele. So wie die Geschichte bei Franz Hohler endet, sieht es in Aarau und im Gönhard noch nicht aus. Auch Adler habe ich hier zumindest im Himmel noch keinen gesichtet. Wenn man sich in der Nachbarschaft umhört, gibt es aber immer wieder Erzählungen von Igeln, Füchsen, Dachsen und sogar Rehen, die neben den Katzen das grüne Gönhardquartier vor allem in der Nacht queren. Die Bilder einer Nachtsichtkamera eröffnen ein reges Treiben: von Katzen, über einen Fuchs bis hin zum Igel, einer kleinen Waldmaus und Eichelhäher ist eine grosse Vielfalt zu beobachten.
Gärten sind auch Wohnung und Unterschlupf für viele kleine Krabbeltiere. Mein persönlicher Favorit: der grün bläulich schimmernde Moschusbock. Ein Käfer, der über drei Zentimeter gross werden kann.
Mehrere Jahre seines Lebens verbringt er als Larve, bevorzugt in Weiden. Eine solche, zufällig gewachsen und etwas windschief, steht vor unserer Küche. Und so können wir ab Mitte Juni jeweils für ein paar Tage das Schauspiel beobachten, wie diese grossen Käfer auf dem Baum herumkrabbeln und sich der Fortpflanzung widmen. Bäume und Totholz schaffen Leben und sollten darum in jedem Garten Platz haben.
Der Schwalbenschwanz und die Rüebliraupe dürften als Sympathieträger wohl beliebter sein, auch wenn sie uns sowohl Fenchel- und Rüeblikraut als auch den mit viel Liebe aufgezogenen Dill wegfressen.
Diesen Sommer habe ich Wespen beobachtet, die die auffällig gefärbten Raupen als Frischfleisch abtransportierten. Daraufhin habe ich beschlossen, endlich ein lang hinausgeschobenes Kindheitsprojekt zu realisieren und die restlichen Raupen unter meinem Schutz aufzuziehen. Zunächst in der Küche, dann in einem selbst gebastelten Schmetterlingskasten. Ende August haben sich die Raupen verpuppt und am 18. September 2021 ist daraus ein wunderschöner Schmetterling geschlüpft.
Unsere Umgebung bietet während 24 Stunden viel Spannendes zu beobachten, nicht nur für Kinder. Tragen wir also Sorge dazu und schaffen Nischen, damit sich Tiere und Pflanzen wohl fühlen bei uns. Ganz so wild wie bei Franz Hohler muss es ja nicht sein.